Mittwoch, 12. Juni 2013

How the gypsy was born


Es wird über den Jakobsweg gesagt, daß er jedem mindestens einmal Tränen in die Augen treibt, sei es aus Traurigkeit oder vor Rührung. Bei mir war heute letzteres der Fall.
Wer den Blog aufmerksam verfolgt und auch die Kommentare liest, dem ist aufgefallen, daß ich gestern auf eine Radiosendung aufmerksam gemacht worden bin. Also war ich heute pünktlich am Telefon und klemmte mich in den Onlinestream von Radio Bremen Eins, nicht wissend, was mich da erwartete.
Ich rechnete mit einem Bericht über meine alte Arbeitsstelle und die Tatsache, daß kurz vor der angegebenen Zeit einer der ehemaligen Bewohner der Wohngruppe in der ich lange tätig war einen Musikwunsch durch den Äther schickte, bestärkte mich noch darin. Was dann aber um 19.50 Uhr geschah, hat mich mehr als überrascht und die Augen ein klein wenig feucht werden lassen.
Mein alter Anleiter und Freund Uwe hat sich mit unheimlich netten Worten ein Lied für mich gewünscht und nicht irgendein Lied, nein eines von dem nur sehr wenige Menschen wissen, daß ich es für eins der eindrucksvollsten Stücke der Musikgeschichte halte.
"How the gypsy was born" von Frumpy, Jean-Jaques Kravetz lässt hier die Hammond Orgel schreien, wie es kein Anderer jemals hingekriegt hat. Das Instrument zerreißt einen hier förmlich, es dringt in die letzten Poren Deiner Seele. Ein Lied, was ich niemals beim Beischlaf mit welchem Model auch immer hören könnte, denn spätestens, wenn der gute Jean-Jaques mit beiden Händen über alle Tasten fährt, die Hochtöner des hölzernen Leslie Lautsprechers ins rotieren bringt und die Orgel so zu einem Wahnsinns Schrei treibt, würde ich vergessen, womit ich gerade beschäftigt bin, egal wieviel Mühe sich die Dame an meiner Seite auch gäbe.
Da kann man sich nur noch gerade aufsetzen, feuchte Augen kriegen, sich mitreißen lassen und knieend die Lautsprecher anbeten. Der Schmerz, den dieser Sound auslöst ist nicht nur körperlich, sondern auch seelisch spürbar. Einer Offenbarung gleich, durchläuft diese Orgel einen Höhepunkt nach dem anderen und wenn Du denkst, mehr geht nicht, dann kommen noch zwei Schläge Sahne oben drauf. Keine chemische Substanz kann das Gefühl auslösen und es tut mir leid das sagen zu müssen Mädels, auch ihr kriegt das nicht hin, was dieses Orgelinferno mit einem anstellt. Noch ein Vorteil ist, daß man es immer wenn man will wieder abspielen kann bzw muß und es nie Kopfschmerzen hat. Es ist einfach unbeschreiblich.
Wenn der Urknall einen Klang hatte, dann war es der auf der guten alten Röhrentechnik basierende Sound dieses Instrumentes. Kein Computer und kein Synthesizer hat es bis jetzt geschaft diesen auch nur im Ansatz zu kopieren. Man hört geradezu jede Faser des Holzgehäuses arbeiten. Jedes Atom im Raum wird unter Spannung gesetzt und es existiert nichts mehr, als nur noch pure Energie. In keinem anderen mir bekannten Stück, kommt diese Orgel so grandios zur Geltung. Zwischendurch hat man das Gefühl, Jean-Jacques tippt die Tasten so an, wie man eine heiße Herdplatte testet, um nicht die ganze Wucht der Hammond zu entfesseln, dann spielt er ruhige, hatmonische Läufe, die Behutsam den nächsten Vulkanausbruch einleiten. Der Organist wirkt bei diesem Instrument, wie ein Dompteur, der die wildeste Bestie aller Zeiten für kurze Zeit im Zaum zu halten versucht. Richtig zähmen kann er sie nicht, denn es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie sich losreißt.
Jetzt muß ich mich aber mal bremsen, sonst schweife ich noch ab …
Auf jeden Fall saß ich vorhin in netter Gesellschaft bei dreißig Grad im Schatten mit einer mächtigen Gänsehaut und habe alles um mich herum vergessen.
Vielen Dank, Uwe für diesen grandiosen Moment.

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